Zukunftsforschung zum Anfassen

Jedes Jahr im Frühjahr versammeln sich innovative Köpfe in Hannover auf dem dortigen Messegelände und stellen aktuelle Entwicklungen, Innovationen und neue Technologien vor. Durch die Messehallen laufen Roboter auf zwei und vier Beinen, es werden neue Fertigungsverfahren vorgestellt und der Einsatz von KI in der Produktionstechnik demonstriert. Mittendrin am riesigen Fraunhofer-Stand in Halle 16 war auch diesmal das Fraunhofer INT vor Ort und wollte die Besucher*innen für etwas begeistern, was man allerdings nicht anfassen kann – die Zukunft.

Dafür haben wir den Besucher*innen auf der Messe die Frage gestellt: »Wem würden Sie vertrauen, wenn es um die Zukunft Ihrer Firma geht?« Zur Auswahl standen ein Astrologe, ein Berater und eine Wissenschaftlerin. Abgestimmt wurde mit orangenen Bällen, die in die überdimensionalen Reagenzgläser vor den Charakteren geworfen werden konnten. An jedem Tag lag übrigens die Wissenschaftlerin vorn.

Die Reaktionen auf unser Exponat waren durchaus unterschiedlich. Es gab Besucher*innen, die meinten, die Zukunft interessiere sie nicht. Andere wiederum hatten recht klare Vorstellungen und Prozesse, die ihnen helfen, auf die für sie relevanten Informationen über künftigen Entwicklungen aufmerksam zu werden. Manch einer vertrat auch die Meinung, man solle seiner eigenen Intuition vertrauen und einige wenige plädierten auch für den astrologischen Zugang zum Thema Zukunft. Auf jeden Fall hatten wir damit unser Ziel erreicht, nämlich die Besucher*innen zum Nachdenken zu animieren und in ein Gespräch zu verwickeln.

Im Kern geht es dabei um ein sehr aktuelles und kontroverses Thema, nämlich die Frage, welche Rolle wissenschaftliche Expert*innen im Rahmen der politischen und ökonomischen Entscheidungsfindung spielen können und sollten. Und im Kontext von Data Driven Foresight stellt sich zusätzlich die Frage, welche Bedeutung Daten für solche Entscheidungen haben könnten.

Meiner Meinung nach spiegelt der Begriff Technologiefrühaufklärung sehr gut wider, worum es bei unserer Tätigkeit am Fraunhofer INT geht – nämlich um die Aufklärung möglicher technologischer Entwicklungen. Dabei kann man Aufklärung zum einen im eher nachrichtendienstlichen Sinne verstehen, als das Sammeln und Auswerten von Informationen über naturwissenschaftlich-technologischer Entwicklungen. Es kann und sollte aber auch im Sinne Kants verstanden werden, als Ausgang aus einer Unmündigkeit hinsichtlich aktueller und künftiger naturwissenschaftlich-technologischer Entwicklungen. In diesem Sinne nähern wir uns als Expert*innen für Technologiefrühaufklärung vielen Blasen und Hypes, die im Medienraum zu verschiedenen Technologien und aktuellen naturwissenschaftlichen Entwicklungen existieren, mit der spitzen Nadel einer sorgfältigen Analyse und lassen (oft) viel heiße Luft aus diesen Blasen heraus. Auf diese Weise können informierte Entscheidungen vorbereitet werden. Allerdings können wir sie nicht treffen, da diese Informationen immer noch im Kontext betrachtet werden müssen. Dieser Kontext wird durch das jeweilige Unternehmen, die aktuelle politische Situation und die Ziele des/der Entscheider*in bestimmt.

Daten liefern im Rahmen eines solchen Prozesses weitere, wichtige Mosaiksteine, die mit vielen weiteren Informationen und Einschätzungen zu einem Gesamtbild zusammengesetzt werden. Dabei können wir mit Hilfe von Daten Aspekte beleuchten, die sonst verborgen blieben. Insofern erweitern Daten unsere diagnostischen Möglichkeiten für naturwissenschaftlich-technologische Entwicklungen signifikant. Wir haben sozusagen mit KATI einen hochauflösenden Computertomographen für wissenschaftliche Themen entwickelt, der uns gute und nützliche Bilder liefert. Diese werden von uns dann interpretiert, wir weisen auf Anomalien hin, auf Besonderheiten und verknüpfen diese mit inhaltlichen Analysen eines Themas. Insofern ist Data Driven Foresight sehr stark auf die Kommunikation mit anderen Expert*innen ausgerichtet. Am Ende steht aber auch hier das Sense Making durch den/die Auftraggeber*in, also die Einordnung der Informationen in den eigenen Zusammenhang, in dem eine Entscheidung zu treffen ist. Oder – um im Bild des Computertomographen zu bleiben – niemand erwartet, dass dieser nicht nur Bilder sondern auch noch eine Diagnose und gleich noch den Therapieplan ausgibt. Die spannende Frage ist natürlich, ob eine KI so etwas irgendwann einmal wird leisten können. Das wäre aber etwas für eine weitere Nachricht aus dem Datenraum. Bis dahin - bleiben Sie neugierig und daten-getrieben.