Trend-NEWS

Architectured Materials

Jeder kennt den Eiffelturm – er ist das prominenteste Beispiel für die Verknüpfung von Materialien und architektonischen Merkmalen auf verschiedenen Längenskalen. Die damalige Freude an Designkonzepten mit optimal konstruierten Strukturen ebnete den Weg für die Entwicklung computergestützter Entwurfsansätze im modernen Bauwesen. Vergleichbare Prinzipien werden inzwischen auch auf den Entwurf von Materialien angewendet, da an etablierte Materialsysteme immerzu neue Anforderungen gestellt werden, die mit dem zunehmenden Bedarf an Miniaturisierung, Gewichtseinsparung sowie Einsatzfähigkeit unter extremsten Bedingungen einhergehen.

Zumeist werden Variationen der chemischen Zusammensetzung oder bei den Prozessparametern dazu genutzt, um einen Werkstoff in Bezug auf bestimmte Eigenschaften Schritt für Schritt, sozusagen bottom-up, zu verbessern. Sollen durch das Materialsystem jedoch enorme Sprünge im Anforderungsprofil erfüllt werden, oder zusätzliche gewünschte Funktionalitäten übernommen werden, etwa sensorischer Fähigkeiten durch einen Strukturwerkstoff, wird inzwischen eine andere Entwicklungsstrategie gewählt, bei der eine Reihe von Eigenschaften a priori festgelegt wird und das Material computerbasiert mit aufwendigen numerischen Verfahren entsprechend designt wird.

Die neue Materialklasse der Architectured Materials gehört zu diesen „Materials by Design“ und geht daher in Umkehrung zur traditionellen, evolutionären Herangehensweise top-down von den gewünschten Funktionalitäten als Ausgangspunkt aus und kombiniert unterschiedliche Materialien oder aber Material und freien Raum zu hochkomplexen Kompositen und Gittern. Ziel ist es, die Grenzen der derzeit verfügbaren Kombinationen an Materialeigenschaften durch die Einbeziehung architektonischer Merkmale auszuweiten. Dabei sind diese Kombinationsparameter nicht auf materialwissenschaftliche Kennwerte beschränkt, sondern können auch ökonomische oder ökologische Aspekte, wie z. B. geringere Produktionskosten oder die Vermeidung umweltschädlicher Zwischenprodukte, einbeziehen.

Realisiert werden solche Architectured Materials durch Designelemente, wie unterschiedlichste zellulare, faser-, schicht-, röhren- oder spiralförmige Strukturelemente, aber auch wiederkehrende strukturelle Überlagerungen, ineinandergreifende Nahtstrukturen oder Gradienten in Form eines kontinuierlichen räumlichen Verlaufs. Entscheidend ist die Nutzung unterschiedlicher Strukturebenen, meist von makroskopischer Strukturierung bis hinab zur Nanostrukturierung. So kann eine Eigenschaft des Werkstoffs durch Strukturierung auf z. B. mikroskopischer Ebene erreicht werden, während eine weitere Eigenschaft durch die Kombination von Designelementen auf nanoskopischer Ebene erreicht wird. Anwendung finden soll diese wissensbasierte aktive Gestaltung der strukturellen Merkmale eines Werkstoffs in vielen Technologiezweigen: von ultraleichten und schadenstoleranten Strukturmaterialien zu sicheren und effizienten Energiespeichern, biomedizinischen Geräten, biochemischen und mikromechanischen Sensoren und Aktoren, nanophotonischen Bauelementen und Textilien. Der Aspekt der Multifunktionalität ist integraler Bestandteil dieses Konzepts und ein Großteil der Forschungsarbeiten zielt auf die Erweiterung eines Werkstoffs um eine Funktionalität ab, z. B. selbstheilende Fähigkeiten, elektromagnetische Absorption, optimaler Wärmeaustausch, Selbstüberwachung sowie ein negativer thermischer Ausdehnungskoeffizient.

Mit den Architectured Materials entwickelt sich die Anordnung von Designelementen zu einer eigenständigen Stellschraube bei der Entwicklung funktionaler Werkstoffe, die sich derzeit im Wesentlichen noch im Stadium der Grundlagenforschung befinden und nur wenige Ansätze sind auf dem Weg in die Kommerzialisierung, allen voran komplexe Gitterstrukturen. Eine exakte definitorische Abgrenzung dieser Materialklasse muss sich jedoch noch ausbilden. Im deutschsprachigen Raum wird vereinzelt der Begriff architektonische Materialien verwendet, was jedoch häufig zu Verwechselungen mit klassischen Baumaterialien führt.

Dieser Trend-NEWSletter-Artikel wurde im März 2023 veröffentlicht.

Weitere Informationen

Europäische Sicherheit & Technik

Basiert auf einem ESUT Artikel. Hier können Sie sich weitere Artikel dieser Rubrik ansehen.

Anmeldung Newsletter Corporate Technology Foresight

Ab 2017 versenden wir regelmäßig weitere Texte zu neuen Technologien per Newsletter. Zur Anmeldung für den Newsletter füllen Sie bitte das folgende Formular aus und klicken Sie auf "Anmelden".