Zukünfte aus der Maschine?

Kann eine KI wie ChatGPT die Zukunft vorhersagen?

Am 30. November 2022 wurde ein Boom losgetreten, der bis heute anhält. OpenAI veröffentlichte ChatGPT 3.5, ein sogenanntes Large Language Model. Die einfach gehaltene Oberfläche ermöglicht es den Nutzer*innen frei formulierte Fragen zu stellen und auf diese Weise in eine Art Dialog mit ChatGPT zu treten. Damit lassen sich vielfältige Aufgaben adressieren. Man kann einen Brief schreiben, Programmierprobleme lösen oder ChatGPT auch nach der Zukunft befragen, wer beispielsweise die UEFA Championsleague in diesem Jahr gewinnen wird.

Die Auswirkungen dieser Technik auf den Wissenschaftsbetrieb sind schon jetzt nicht mehr zu übersehen, was die folgenden Zahlen verdeutlichen, die aus dem KATI®-System des Fraunhofer INT extrahiert wurden:

  • In den letzten zwei Jahren seit der Bereitstellung sind mehr als 7.300 Publikationen veröffentlicht worden, die sich mit ChatGPT befassen. Zwischen 2023 und 2024 hat sich der wissenschaftliche Output mehr als verdoppelt. Normalerweise dauert es etwa 15 bis 18 Jahre, bis sich der gesamte wissenschaftliche Output eines Jahres verdoppelt.
  • In mehr als 1.600 Publikationen wird ChatGPT in der Danksagung zu einer Publikation erwähnt. Damit zeigen die Autor*innen an, dass sie das Programm genutzt haben, während sie ein Paper erarbeitet haben. Die Dunkelziffer dürfte jedoch deutlich größer sein.
  • Außerdem finden sich immerhin acht Publikationen, in denen ChatGPT sogar als Ko-Autor aufgeführt wird.

ChatGPT hat aber noch weitere Spuren in Publikationen hinterlassen. So zeigt sich, dass bestimmt Worte besonders gerne von ChatGPT genutzt werden, die sonst im wissenschaftlichen Kontext nicht so häufig genutzt werden. Auch das kann mittels des KATI®-Systems näher analysiert werden. Hierzu wurden die drei Worte, die offenbar sehr gerne von ChatGPT genutzt werden – intricate, meticulously sowie delve – ausgewählt und Synonyme identifiziert. Dann wurde analysiert, in wie vielen Publikationen diese Worte im Abstract genutzt werden, und zwar in den Jahren 2022 – also bevor ChatGPT verfügbar gemacht wurde – und 2024, ein Jahr danach. Die Ergebnisse dieser Analyse sind in Abbildung 1 dargestellt.

Es ist deutlich zu erkennen, dass ChatGPT offenbar die Sprache im wissenschaftlichen Diskurs beeinflusst, indem die genannten exemplarischen Worte häufiger auftauchen als andere und dieser Anstieg zeitlich mit der Einführung von ChatGPT zusammenfällt. Wie diese Entwicklung insgesamt zu bewerten ist, wird die Debatte in den kommenden Jahren zeigen. Immerhin ist nur für einen Bruchteil der Wissenschaftler*innen Englisch die Muttersprache. Somit könnte ChatGPT dabei helfen, Barrieren im Wissenschaftsbetrieb abzubauen.

ChatGPT beeinflusst nicht nur die Sprache, mit der über wissenschaftliche Erkenntnisse geschrieben wird. Es beeinflusst zunehmend auch die Frage, wie Wissenschaft von Wissenschaftler*innen betrieben wird. Es gibt kaum eine wissenschaftliche Disziplin, in der nicht bereits Large Language Modelle genutzt werden, um neue wissenschaftliche Erkenntnisse zu generieren. Es liegt also die Frage nahe, ob und wie man künstliche Intelligenz in der Zukunftsforschung nutzen könnte und welche Konsequenzen das für das Fach hat. Dabei ist diese Frage gar nicht so neu, sondern wurde bereits 2014 in einem Artikel von Randall Mayes im Magazin »The Futurist« das erste Mal im wissenschaftlichen Diskurs gestellt. Was damals noch als Utopie erschien, ist mittlerweile in den Fokus der Debatte gerückt, bei der sich drei Schwerpunkte unterscheiden lassen.

Zunächst ist da die pragmatische Frage, wie man Large Language Modelle, Künstliche Intelligenz und Algorithmen der KI im Kontext der Zukunftsforschung nutzen kann. Hier werden am Fraunhofer INT verschiedene Ansätze verfolgt. So könnte man diese Verfahren nutzen, um einfacher und schneller bessere Suchanfragen für die Recherche im KATI®-System zu erarbeiten. Auch die Zusammenfassung von mehreren Publikationen ist ein möglicher und wichtiger Use Case. Durchaus nutzbar ist ChatGPT beispielsweise auch im Rahmen der Datenbereinigung und der Beschreibung von Grafiken. Nicht so gute Ergebnisse liefert dieser Ansatz jedoch, wenn es um deren Interpretation geht.

Zum Zweiten hält KI der Zukunftsforschung gleichsam den Spiegel vor und beleuchtet durch die Frage, welche Aufgaben von einer KI übernommen werden können und wofür nach wie vor menschliche Intelligenz und Kreativität notwendig sind, die Grundlagen der Zukunftsforschung. Daran schließt sich gleich der dritte Schwerpunkt an, nämlich die Frage, was gute Zukunftsforschung ausmacht und wie man diese evaluieren kann. An all diesen Debatten beteiligt sich das Fraunhofer INT im Rahmen des KATI® IV Projekts aktiv.