Europäische Sicherheit & Technik
Das Fraunhofer-Institut für Naturwissenschaftlich-Technische Trendanalysen INT berichtet regelmäßig in der Zeitschrift "Europäische Sicherheit und Technik" über neue Technologien.
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Thermoradiative Cells (TRC) sind Halbleitersysteme, mit denen sich Wärme in elektrischen Strom umwandeln lässt. Sie können als umgekehrt funktionierende Solarzellen betrachtet werden, weil sie bei nahezu identischem Aufbau Strom durch die Emission statt durch die Absorption von elektromagnetischer Strahlung erzeugen – konkret durch die Emission von Wärmestrahlung. Ihre Bezeichnung in der englischsprachigen Fachliteratur ist auf diese Emission von Wärmestrahlung (engl. Thermal Radiation) zurückzuführen, eine deutsche Bezeichnung hat sich bisher noch nicht etabliert. Aktuell befinden sich diese in der populärwissenschaftlichen Literatur auch als »Solarzellen für die Nacht« bezeichneten Systeme noch in einem sehr frühen Forschungsstadium.
Das physikalische Funktionsprinzip von TRC lässt sich vereinfacht mit dem Bändermodell für Elektronen in Festkörpern beschreiben. In einem Halbleiter besitzen die Elektronen Energien bis zur Oberkante des sogenannten Valenzbandes. Durch Energiezufuhr, zum Beispiel durch die Absorption von Photonen oder durch thermische Anregung, können sie in das sogenannte Leitungsband wechseln. Aus quantenphysikalischen Gründen können Elektronen keine Energien im Bereich zwischen diesen beiden Bändern annehmen, dieser Bereich wird als Bandlücke bezeichnet. Wenn eine TRC mit einem Wärmereservoir verbunden ist, entsteht im Leitungsband ihres Halbleitermaterials gewissermaßen eine Überbesetzung mit Elektronen. Richtet man eine solche TRC auf eine kältere Umgebung aus, kann Energie dorthin abfließen, indem Elektronen aus dem überbesetzten Leitungsband unter Aussendung von Wärmestrahlung ins Valenzband wechseln. Durch ihre Konstruktion als Photodiode kann aus diesem Prozess ein elektrischer Strom erzeugt werden, der umgekehrt zum elektrischen Strom einer gleich aufgebauten Solarzelle fließt. Damit TRC so funktionieren, werden allerdings Halbleiter mit einer deutlich kleineren Bandlücke als für Solarzellen benötigt, so dass die Energiedifferenz zwischen Leitungs- und Valenzband mit dem thermischen Emissionsspektrum der Zelle übereinstimmt.
Den ersten Vorschlag zur technischen Nutzung dieses Konzepts machten Forscher der Harvard University im Jahr 2014 – die Erschließung der Wärmeabstrahlung der Erde als eine am Tag und insbesondere auch in der Nacht verfügbare erneuerbare Energiequelle. Dazu würde man TRC zum Beispiel am Boden oder auf Dächern mit Ausrichtung zum Himmel montieren, wobei die Erde als Wärmereservoir und das Weltall als Wärmesenke fungieren würden. Das Halbleitermaterial der TRC wäre dabei konkret so zu wählen, dass die Wellenlänge der stromerzeugenden Wärmestrahlung im Bereich des sogenannten atmosphärischen Fensters bei 8 bis 13 µm liegt, in dem die Atmosphäre weitgehend transparent für elektromagnetische Strahlung ist, diese also ungehindert ins Weltall abgestrahlt werden kann. Bei einer Erdoberflächentemperatur von 275 bis 300 Kelvin und der Temperatur des Weltalls von 3 Kelvin würden solche TRC weitaus mehr Wärmestrahlung aussenden als auf sie einstrahlt. Theoretisch ließe sich so unter idealen Bedingungen eine elektrische Leistungsdichte von bis zu 54 W/m² erreichen, praktisch unter typischen atmosphärischen Bedingungen und mit unvermeidbaren technischen Einschränkungen eher maximal 10 W/m² – wohlgemerkt auch nachts. Zum Vergleich liefern aktuell am Massenmarkt verfügbare Siliziumsolarzellen etwa 200 W/m² bei idealer Sonneneinstrahlung.
Deutlich höhere Leistungsdichten könnten mit TRC erzielt werden, die bei höheren Temperaturen betrieben werden und dafür beispielsweise die Abwärme von Motoren, industriellen Prozessen oder elektronischen Bauelementen nutzen. Bei etwa 500 Kelvin läge die elektrische Leistungsdichte von idealen TRC im Bereich von Solarzellen, die bei noch höheren Temperaturen aber auch deutlich übertroffen werden könnte. Am Beispiel der Nutzung der Abwärme von Brennstoffzellen konnte in konzeptionellen Studien gezeigt werden, dass ein Einsatz von TRC allen anderen herkömmlichen Arten der Abwärmenutzung überlegen wäre, wie zum Beispiel thermoelektrischen Generatoren, Wärmepumpen oder mit organischen Arbeitsmedien betriebenen Dampfturbinen. Neben ihrer potenziell höheren Effizienz würde dazu auch die geringere technische Komplexität der TRC beitragen.
Inzwischen wurde die prinzipielle Machbarkeit von TRC experimentell nachgewiesen, aber ihre potenziellen Effizienzen und Leistungsdichten konnten bei weitem noch nicht erreicht werden. So wurde beispielsweise im Jahr 2019 von Forschern der Stanford University mit einer auf den Himmel gerichteten TRC bei Raumtemperatur eine elektrische Leistungsdichte von gerade einmal 60 Milliardstel W/m² ermittelt. Dabei kam als TRC eine kommerzielle Photodiode mit einer aktiven Fläche von weniger als einem Quadratmillimeter zum Einsatz. 2022 konnten Forscher der University of New South Wales dann mit einer geringeren Temperaturdifferenz von 12,5 Kelvin im Labor und einer ähnlich großen Photodiode als TRC eine Leistungsdichte von 2 Tausendstel W/m² messen. Aber auch damit ist man aktuell noch weit entfernt von praktisch einsetzbaren Stromerzeugern. Nach Aussagen von Fachleuten ist noch etwa ein Jahrzehnt an universitärer Forschungsarbeit zu leisten, bevor die Industrie in die Entwicklung von TRC einsteigen könnte. Generell ist jedoch ein zunehmendes Forschungsinteresse an der Technologie zu beobachten, da TRC in Zukunft zu einer effizienteren und nachhaltigeren Energieerzeugung beitragen könnten.
Dr. David Offenberg