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Brain-Computer-Interfaces

Brain-Computer-Interfaces (BCI, Synonym: Brain-Machine-Interfaces) ermöglichen eine direkte Informationsübertragung zwischen einem organischen Gehirn und einem technischen Schaltkreis. Durch das Auslesen von Gedanken bzw. mentalen Befehlen können sie als neurotechnologische Eingabesysteme eine sprach- und bewegungsunabhängige Maschinensteuerung vermitteln. Weil sie völlig ohne Betätigung irgendeines Muskels auskommen, eröffnen BCI grundsätzlich revolutionäre Bedienmöglichkeiten. Ihre Umsetzung wird jedoch durch beträchtliche technologische Herausforderungen erschwert, was den hohen Entwicklungsaufwand in diesem Bereich erklärt.

An erster Stelle werden körperlich behinderte Menschen von der Realisierung von BCI profitieren. Hier gibt es bereits prototypische Systeme, die etwa die Steuerung eines Cursors, die Bedienung eines virtuellen Buchstabierprogramms oder die Kontrolle von robotischen bzw. prothetischen Effektoren erlauben. Parallel dazu rücken in den letzten Jahren zunehmend auch nicht-medizinische Einsatzmöglichkeiten für gesunde Nutzer in den Fokus des Interesses, z. B. die Lenkung von Fahrzeugen oder Robotern, die Überwachung von Bewusstseins- und Gefühlszuständen oder die Interaktion mit virtuellen Umgebungen (insbesondere im Bereich Gaming).

Die Kopplung von Gehirn und Computer beruht grundsätzlich immer auf der Erfassung und Verarbeitung von spezifischen physiologischen Signalen, beispielsweise elektrischen Potentialschwankungen oder Fluktuationen im Sauerstoffgehalt des Blutes, die Aufschluss über die neuronale Aktivität geben. Die räumliche und zeitliche Dynamik dieser Signale kann über nicht-invasive Ableitverfahren wie die Elektroenzephalographie (EEG) oder die funktionelle Nahinfrarotspektroskopie (fNIRS) gemessen werden. Die erfassten Aktivitätsmuster werden vom BCI fortlaufend mit vorgegebenen oder erlernten Referenzmustern verglichen. Auf diese Weise identifiziert das System charakteristische neuronale Signaturen und Motive, die als Kontrollsignale dienen. Durch die Identifikation und Klassifikation der Kontrollsignale entschlüsselt das BCI die Intentionen des Nutzers und generiert daraufhin entsprechende maschinelle Steuerbefehle.

Rehabilitationsmedizinische Anwendungen stehen auch weiterhin im Vordergrund der BCI-Forschung. Insbesondere in den Bereichen der Signalerfassung und -verarbeitung wurden hier in den letzten Jahren gute Fortschritte erzielt – beispielsweise durch die Entwicklung von einfacheren und zuverlässigeren Messsensoren sowie präziseren und schnelleren Klassifikationsalgorithmen. Dennoch befinden sich medizinische BCI gerade erst an der Schwelle zur Marktreife; sie sind noch immer störanfällig, umständlich in der Nutzung und bislang nur wenigen Patienten zugänglich. Umgekehrt vermarkten diverse Hersteller bereits heute vergleichsweise einfache, nicht-medizinische BCI in den Bereichen Entertainment, Fitness und Wellness. So sollen BCI-Headsets beispielsweise als Biofeedback-Systeme die bewusste Beeinflussung der eigenen Gemütslage ermöglichen und so helfen, Stress abzubauen oder die Konzentrationsfähigkeit zu erhöhen. Hier geht es also noch nicht um die Steuerung eines maschinellen Systems.

Generell erweist sich die niedrige Informationsübertragungsrate zwischen Gehirn und Computer als wesentliches Hindernis bei allen gegenwärtigen BCI. Zudem werden die mentalen Kommandos von den Systemen bisweilen nicht verstanden oder falsch interpretiert. Zwar kann diese Fehlerrate reduziert werden, wenn es dem Nutzer gelingt, besonders klare Befehle zu senden, dies erfordert jedoch intensives Training und ein hohes Maß an Konzentration. Eine weitere Hürde stellt schließlich der Schritt aus der kontrollierten Laborumgebung hinein in die alltägliche Anwendung dar. Ein hohes Hintergrundrauschen aufgrund elektromagnetischer Fremdsignale (z. B. Netzbrummen) und die Ablenkung des Nutzers durch eine Vielzahl unterschiedlicher Sinnesreize sind nur zwei Aspekte, welche die Funktion der Systeme dabei negativ beeinflussen.

Im Vergleich zu herkömmlichen Bedien- und Steuerinstrumenten (z. B. Maus, Tastatur oder Lenkrad) bieten heutige BCI gesunden Nutzern deshalb noch keine Vorteile. Im Regelfall wird die Leistungsfähigkeit von Personen, die prinzipiell nicht auf ein BCI angewiesen sind, hier sogar entscheidend eingeschränkt. Allerdings eröffnen sich möglicherweise bereits heute interessante Einsatzbereiche im sogenannten Mental State Monitoring. Im Projekt „Sixth Sense“ des Autobauers Jaguar Land Rover stellt eine derartige Überwachung des mentalen Zustands beispielsweise eine zentrale Forschungslinie dar. Hier geht es darum, Stressbelastungen oder Konzentrationsschwächen frühzeitig zu erkennen, um Unfällen gezielt entgegenwirken zu können. Auch artverwandte militärische Anwendungen von Helm-integrierten BCI wurden bereits im Rahmen akademischer Studien erforscht.

Noch ist die Vision einer schnellen, intuitiven und präzisen Gedankenkontrolle von Computern und Maschinen Zukunftsmusik, der bedeutende technologische Herausforderungen entgegenstehen. Angesichts der aktuellen Fördermaßnahmen für neurowissenschaftliche Grundlagenforschung in Europa (Human Brain Project) und den USA (BRAIN Initiative) ist allerdings auch im Bereich der BCI-Technologien in den nächsten Jahren mit signifikanten Fortschritten zu rechnen. Ein besseres Verständnis darüber, wie neuronale Signale erfasst, interpretiert und sogar beeinflusst werden können, könnte langfristig den Weg für disruptive Entwicklungen ebnen. Bidirektionale BCI-Systeme, die sowohl Informationen auslesen als auch Signale ins Gehirn einspeisen können, könnten in ferner Zukunft eine maschinenvermittelte Hirn-zu-Hirn-Kommunikation ermöglichen und einen Grad organisch-technischer Interaktion erschließen, der die Grenzen zwischen Mensch und Maschine verschwimmen lässt. Ob es allerdings so weit kommt, wird letztlich nicht nur vom technologischen Fortschritt abhängen, sondern auch davon, wie weit BCI gesellschaftliche Akzeptanz gewinnen können.

Dieser Trend-NEWSletter-Artikel wurde im Januar 2017 veröffentlicht.

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Basiert auf einem ESUT Artikel. Hier können Sie sich weitere Artikel dieser Rubrik ansehen.

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