Trend-NEWS

Living Electronics – Lebende Elektronik

Ein mittlerweile großes Forschungs- und Entwicklungsfeld ist die sogenannte Bioelektronik. Diese befasst sich mit der Schnittstelle zwischen biologischen Systemen und elektronischen Bauteilen. Die Gemeinsamkeit der biologischen Systeme und der Elektronik liegt darin, dass in beiden Fällen elektrische Impulse zur Signalweiterleitung genutzt werden. Die Bioelektronik umfasst diverse Technologieentwicklungen, unter anderem Biosensoren, Biochips oder Neuroprothesen, die direkt mit dem biologischen System in Verbindung stehen und sich im besten Fall dadurch steuern lassen.

Living Electronics, also die lebende Elektronik, könnte man als Erweiterung der Bioelektronik beschreiben. Ziel der Entwicklung ist die Schaffung lebender elektronischer Systeme, die sowohl Festkörper- als auch biologische Funktionalitäten bieten. Es sollen also nicht nur biologische Einheiten mit elektronischen Bauteilen verbunden werden, sondern sie sollen direkt als elektrische Komponenten in elektronische Schaltungen integriert werden. Diese lebenden Komponenten können beispielsweise Biomoleküle, zelluläre Bestandteile, Zellen oder auch zelluläre Gemeinschaften sein. Der Vorteil von solchen biohybriden Systemen mit lebendiger Elektronik wird darin gesehen, dass sie einzigartige Eigenschaften bieten können, wie z. B. die Fähigkeit zur Selbstorganisation oder Selbstversorgung, zur Selbstreparatur oder zum biologischen Abbau, aber auch zur Verarbeitung und Speicherung von Informationen.

Die Integration biologischer Einheiten in elektrische Geräte zur Erzeugung lebender Elektronik erfordert die Erforschung der intrinsischen Parameter (z. B. der Leitfähigkeit) der Biomoleküle und multizellulären Netzwerke. Mikroorganismen besitzen verschiedene sogenannte Elektronentransportmechanismen. Eine spezielle Gruppe von Bakterien, die sogenannten exoelektrogenen Bakterien (z. B. Geobacter und Shewanella), spielen bei der Entwicklung lebendiger Elektronik eine wichtige Rolle. Sie besitzen die Fähigkeit, im Rahmen der Stoffwechselaktivität erzeugte Elektronen nicht nur intern zu übertragen, sondern sie auch nach außen abgeben zu können. Geobacter kann beispielsweise sogenannte Nanodrähte ausbilden, welche winzige metallische Bausteine enthalten, und den Organismus befähigen, überschüssige Elektronen abzuleiten, die beim mikrobiellen Abbau organischer Stoffe entstehen. Durch Bildung von mikrobiellen Biofilmen (bakterielle Gemeinschaften) mit Nanodrahtnetzwerk können Elektronen auch sehr effektiv und über weite Distanzen transportiert werden. Aber auch andere Organismen können leitfähige Strukturen ausbilden, so wie spezifische Membran- oder Oberflächenfusionsproteine. Mit Hilfe solcher Proteine und auch kleiner redoxaktiver Moleküle (sog. Mediatoren) können Mikroorganismen Ladung von Zellen zu etwas weiter entfernten Materialen übertragen.

Die Entwicklungsansätze sind vielfältig und die natürlichen Elektronentransportsysteme werden in diversen technischen Ansätzen genutzt. Die Fähigkeit der exoelektrogenen Bakterien wird etwa genutzt, um Strom aus organischen Materialien (z. B. in mikrobiellen Brennstoffzellen) oder aus Luftfeuchtigkeit (z. B. AirGen) zu erzeugen. Weitere Forschungsansätze reichen von leitfähigen Biomaterialien über lebende Kondensatoren, die biologische Komponenten zur Speicherung und Abgabe von Elektronen nutzen, bis hin zu biologischen Memristoren, die einen potentiellen Einsatz im Bereich des neuromorphen Computing bieten. Im medizinischen Bereich wird an der Herstellung nachhaltiger, für den Körper unschädlicher, lebender Elektronik gearbeitet, u. a. aus Protein-Nanodrähten, aber auch im Körper selber wachsende Gelelektroden, die gezielt in spezifischen Regionen wie Herz oder Gehirn entstehen sollen, sind ein Bestandteil der Forschung. Lebende Organismen eignen sich auch ideal für die Anwendung in diversen Sensoren, da sie sehr sensitiv auf Umweltreize reagieren und sehr geringere Konzentrationen von Stoffen detektieren können. Durch Modifikationen der Organsimen kann die Reaktion auf spezifische Reize angepasst werden und mit elektronischen Geräten gekoppelt werden, um lebende Sensoren zu generieren, bei denen beispielsweise Proteine als Stimulus-gesteuerter Schalter fungieren. Die natürlichen und künstlich erzeugten Sensorfähigkeiten der Organismen ermöglichen so potenziell die Entwicklung neuer sensitiver Biosensoren.

Neue Möglichkeiten der synthetischen Biologie und der genetischen Manipulation der Organismen ermöglichen die Beeinflussung des Elektronentransfers und eröffnen zahlreiche Chancen zur Anpassung ihrer elektronischen Eigenschaften. Die Forschung zu den molekularen Eigenschaften und Fähigkeiten der Organismen sind bei weitem nicht abgeschlossen. Allerdings gab es in den letzten Jahren weitreichende Erkenntnisse. Durch die Kombination der Elektromikrobiologie, der synthetischen Biologie und der Bioelektronik könnten zukünftig vermutlich neuartige lebende Elektroniksysteme mit vorhersehbarem und anpassbarem Verhalten entstehen, die eine verbesserte Biokompatibilität, einen geringeren ökologischen Fußabdruck und hybride biologische sowie Festkörperfähigkeiten aufweisen.

Dieser Trend-NEWSletter-Artikel wurde im September 2025 veröffentlicht.

Anmeldung Newsletter Corporate Technology Foresight

Seit 2017 versenden wir regelmäßig weitere Texte zu neuen Technologien per Newsletter. Zur Anmeldung für den Newsletter füllen Sie bitte das folgende Formular aus und klicken Sie auf "Anmelden".