Neue Technologien

Europäische Sicherheit & Technik

Das Fraunhofer-Institut für Naturwissenschaftlich-Technische Trendanalysen INT berichtet regelmäßig in der Zeitschrift "Europäische Sicherheit und Technik" über neue Technologien.

 

Blutersatzprodukte

Eine der häufigsten Todesursachen sowohl im militärischen als auch im zivilen Umfeld ist massiver Blutverlust infolge einer Verwundung. Viele Leben könnten hier durch eine schnelle präklinische Versorgung mit Blutprodukten gerettet werden. Allerdings wird die bedarfsgerechte Versorgung mit Blutprodukten, insbesondere auch im militärischen Kontext, vor allem durch die erforderlichen speziellen Lagerbedingungen wie die Einhaltung der Kühlkette, die begrenzte Haltbarkeit und die dadurch bedingten logistischen Einschränkungen erschwert. Außerdem führt eine generell sinkende Spendenbereitschaft sowie der demografische Wandel zu immer größeren Herausforderung bei der ausreichenden Versorgung mit Blutprodukten. Eine Lösung für all diese Probleme könnten Blutersatzprodukte sein. Hier gibt es inzwischen verschiedene neue Ansätze zur Nutzbarmachung gesundheitlich unbedenklicher Substanzen.

Bereits seit Jahrzehnten stellen sich Forschende der Aufgabe künstliche Blutprodukte zu entwickeln. Dabei besteht die Hauptanforderung darin, eine dem Blut ähnliche Sauerstofftransportfähigkeit zu erreichen, um eine ausreichende Versorgung der Organe mit Sauerstoff zu gewährleisten. Die ersten Versuche konzentrierten sich daher auf den Proteinkomplex Hämoglobin, der in den roten Blutkörperchen, den Erythrozyten, für den Transport von Sauerstoff zuständig ist. Das Hämoglobin wurde dabei aus menschlichem oder tierischem Blut gereinigt oder gentechnisch in Bakterien hergestellt. Hämoglobin, das sich außerhalb der Erythrozyten befindet, zerfällt allerdings rasch zu toxischen Abbauprodukten. Um diesen Zerfall zu verhindern, wurde das Hämoglobin modifiziert, z. B. durch Konjugation mit anderen Reagenzien oder Polymerisation mehrerer Hämoglobinmoleküle. Aber auch diese modifizierten Hämoglobine führten bei Patienten zu einer hohen Rate an Nebenwirkungen. Außerdem ist in zellfreien Hämoglobin-Lösungen die Sauerstoffabgabe vermindert, da hier bestimmte Effektormoleküle fehlen, die innerhalb der Erythrozyten die Freisetzung des Sauerstoffs vom Hämoglobin begünstigen.

Um diese Probleme zu umgehen, wird in neueren Ansätzen das Hämoglobin zusammen mit solchen Effektormolekülen in einer synthetischen Hülle aus z. B. Lipiden verkapselt. Das Hämoglobin wird dabei aus abgelaufenem Spenderblut isoliert. Solche künstlichen Erythrozyten bieten den Vorteil, dass sie gefriergetrocknet werden können und so monatelang bei Raumtemperatur haltbar sind. In einem Ansatz, bei dem die künstlichen Erythrozyten dem Original in Größe, bikonkaver Form, Verformbarkeit, Sauerstofftransportkapazität und Zirkulationszeit im Blutkreislauf sehr nahe kommen, wurde aus Siliziumdioxid ein Abdruck eines echten Erythrozyten erstellt und als Schablone verwendet. An diese Schablone wurde innen eine mehrlagige Schicht aus Polysacchariden angelagert und anschließend das Silikatgerüst weggeätzt. Die Schablone aus Polysacchariden wurde abschließend mit funktionellen Molekülen wie Hämoglobin beladen und mit der echten Zellmembran eines Erythrozyten überzogen.

Eine weitere erfolgsversprechende Entwicklung ist die Nutzbarmachung des Hämoglobins aus dem Blut von Wattwürmern. Dieses zirkuliert frei im Blut, benötigt also nicht den Schutz einer Erythrozytenmembran. Es kann 40-mal mehr Sauerstoff speichern als das menschliche Hämoglobin und benötigt keine Effektormoleküle, um Sauerstoff freizusetzen.

Neben Hämoglobin konzentrieren sich viele Arbeiten auf Perfluorcarbone als Sauerstoffträger. Diese synthetischen Kohlenstoffverbindungen weisen eine hohe Sauerstofflöslichkeit auf und bilden keine toxischen Metabolite. Da sie nicht wasserlöslich sind, müssen sie allerdings vor der Anwendung emulgiert werden. Aber viele der hier einsetzbaren Emulgatoren zeichnen sich durch eine schlechte Verträglichkeit aus.

Andere Forschungsbemühungen richten sich auf die Entfernung der Antigene von Spendererythrozyten, um die Notwendigkeit einer Blutgruppenkompatibilität zu vermeiden. Ein Enzympaar aus menschlichen Darmbakterien kann z. B. die spezifischen Zuckermoleküle auf Erythrozyten der Blutgruppe A und B abschneiden, um sie in solche der Universalspendergruppe 0 umzuwandeln. Der Rhesusfaktor auf der Oberfläche der Erythrozyten kann darüber hinaus mit Hilfe eines Hydrogels vor dem Immunsystem abgeschirmt werden.

Neben der Forschung an Ersatzprodukten für Erythrozyten wird auch an der Entwicklung von künstlichen Blutplättchen geforscht. Blutplättchen, die Thrombozyten, spielen eine sehr wichtige Rolle bei der Blutgerinnung. Spenderthrombozyten weisen jedoch mit fünf bis sieben Tagen eine extrem kurze Haltbarkeit auf. Um Thrombozyten nachzuahmen, wurde ein Lipidvesikel hergestellt, dass an der Oberfläche verschiedene Peptide aufweist, die die Adhäsions- und Aggregationsfunktionen von Thrombozyten nachahmen. Außerdem wurde bereits ein Verfahren entwickelt, um gespendete Thrombozyten einer Gefriertrocknung zu unterziehen, wodurch die Haltbarkeitsdauer auf drei Jahre bei Raumtemperatur erhöht werden konnte.

Erythrozyten und Thrombozyten können auch spenderunabhängig im Labor gezüchtet werden. Hierzu werden Blutstammzellen der universell einsetzbaren Blutgruppe 0 negativ aus dem Knochenmark entnommen und in Zellkultur kultiviert. Außerdem können Blutstammzellen aus embryonalen Stammzellen gezüchtet werden. Auch Hautzellen wurden bereits zu Stammzellen umprogrammiert, die dann Erythrozyten oder Thrombozyten herstellen.

Blutersatzprodukte bieten gegenüber Bluttransfusionen die Vorteile einer einfacheren Lagerbarkeit, einer längeren Haltbarkeit, der Freiheit von Infektionsrisiken wie Hepatitis oder HIV sowie der Kompatibilität mit allen Blutgruppen. Während die erste Generation an Blutersatzstoffen aufgrund gesundheitlicher Bedenken gescheitert ist, müssen die neuen Blutersatzprodukte noch klinische Studien zur langfristigen Verträglichkeit durchlaufen. Blutersatzprodukte werden herkömmliche Blutspenden nicht ersetzen. Aber gerade in Situationen, in denen eine Transfusion mit Spenderblut nicht möglich ist, vor allem auch für Menschen mit seltenen Blutgruppen, stellen Blutersatzprodukte eine wichtige Ergänzung dar und könnten viele Leben retten. 

 

Dr. Britta Pinzger